Growth Hacking oder alter Wein in neuen Schläuchen

Growth Hacking

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Vielerorts liest man immer mehr von „Growth Hacking“ Seminaren und Angeboten. Klingt erst einmal sehr spannend. Also, liest man sich etwas in die Materie ein. Worum geht es? Verheißungsvoll heißt es dann, dass alle Unternehmen davon profitieren könnten. Neue Umsatzwege und mehr Traffic auf der Webseite wären die Folgen. Auch schon der Begriff „Hacking“ deutet an, dass es hier nicht einfach nur um Marketing geht. Nein, wir hacken das System, ob es das will oder nicht. Wie Cyber-Kriminelle gehen wir dabei vor, nur um das Wachstum unseres Unternehmens anzukurbeln. Bis dahin klingt das auch alles sehr spannend. Dann liest man aber weiter und merkt: Hey, da werden mir Sachen angeboten, die ich schon seit Jahren einsetze oder selbst vermarkte. Die versprochenen „Insights“ und „Booster“ entpuppen sich als bekannte Marketingmaßnahmen, verpackt in einem neuen Gewand.

Growth Hacking

Worum geht es bei Growth Hacking?

Der US-Unternehmer Sean Ellis ist angeblich der Urvater des Begriffs, den er 2010 zum ersten Mal benutzte. Er baute hierzu sogar eine eigene Community auf unter: https://growthhackers.com/

Ziel des Growth Hacking ist natürlich das Wachstum des Unternehmens. Doch welches Unternehmen möchte nicht wachsen? Deswegen geht es hierbei hauptsächlich um kostengünstiges oder sogar kostenloses Marketing, wie z. B. die Mund-zu-Mund-Propaganda – unter Social-Media-Experten als Word-of-Mouth bekannt oder einfach als Empfehlungsmarketing. Generell sind die Social Media ideal, um schnell Wachstum aufzubauen. Wer ein gutes Produkt hat, kann sicher gehen, dass es weiterempfohlen wird. Ein tolles Musik-Video kann auf diese Weise über 1 Mrd. Views generieren – ohne großen Werbeaufwand.
Vor allem disruptive Unternehmen (die die Gesetze des Marktes umschreiben) wie z. B. Amazon, Apple, Facebook, Google, Uber, AirBnB oder Starbucks sind berühmte Growth Hackers. Dafür mussten sie nicht einmal ein Growth Hackers Seminar belegen. Sie haben einfach Produkte angeboten, die günstiger, bequemer, schöner oder einfach besser waren. Die Menschen liebten sie dafür. Der Umsatz wuchs ins Unermessliche.

Gute Erfolgstrainer haben das erkannt und preisen schon seit Jahren die Tugenden der „Einhörner“ und „Hyperscalers“: Schaffe etwas Einzigartiges, Disruptives, Tolles und Kostenloses und rede darüber.
Vor allem kostenlose Angebote werden von den Menschen gerne genutzt. Ob Google Suche, Facebook Account oder kostenloser Versand (für Amazon Prime Mitglieder) – damit öffnet man die Herzen der Kunden. Wer geschickt ist, verkauft dabei im „Hintergrund“ oder einfach etwas später. So sind die meisten Smartphone Apps kostenlos. Erst durch das Ansehen von Werbung oder durch den Kauf von „Packages“, um z. B. die Spielfigur auszustatten, wird Geld generiert. Und das nicht zu knapp. Große App-Entwickler-Studios nehmen teilweise hunderte Millionen Euro pro Monat ein.
Auch Sharing-Services wie Dropbox oder Google Drive profitieren von den kostenlosen Angeboten. Wer später mehr Speicherplatz benötigt – und das sind die meisten – muss früher oder später bezahlen.
Die meisten Internet-Unternehmen sind übrigens Groth Hackers. Dank Internet wurden viele Services einfacher und vor allem kostengünstiger verfügbar. Damit ist das Internet der größte Treiber für Growth Hacking. Und somit kann man Online-Marketing auch als Tool Nummer eins für den Wachstums-Booster bezeichnen.

Was macht einen guten Growth Hacker aus? Er hat kein Geld, aber dafür Ideen

Viele Startup-Unternehmer kennen das: Es fehlt das Geld für kostspieliges Marketing. Während große Marken wie BMW, Nestlé oder IKEA einfach mal ein Millionen-Budget für Werbung auf den Tisch legen, können junge Unternehmen nicht mehr mithalten. Interessanterweise wird auf diese Weise auch unnötig viel Geld in Werbung gepummt, die nichts bringt. „Stupid Money“ nennen die Amerikaner gern das Geld von Deutschen. Vor allem in der Filmindustrie wurden auf diese Weise erfolgreiche Blockbuster gefördert, die aber den deutschen Anlegern keine Gewinne einbrachten, sondern nur Verluste.
In der Online-Werbung ist das auch heute noch so. Viele Unternehmer zahlen für Online-Werbung, die keiner richtig zu sehen bekommt. Stört das die Unternehmen? Nein. Viele große Marken geben lieber 1 Mio. Euro in Bannerwerbung aus, als ein paar Tausend Euro für SEO und Content-Marketing. Das Staunen ist danach meistens groß, wenn sie feststellen, dass ihre Seiten im Internet nicht gefunden werden oder kaum einer ihre Webseiten besucht. Dann heißt es: Vielleicht hätte man noch mehr investieren müssen. Stupid Money eben.
Ein Growth Hacker – oder eben ein intelligenter Startup-Mensch – geht dabei ganz andere Wege. Die erste Frage lautet dann:

Wie kann ich mit wenig Geld viel erreichen?

Anschließend macht man nur diejenigen Maßnahmen, die man bezahlen kann, z. B. SEO, Content-Marketing, Google Ads, Facebook Werbung, XING Gruppen, Preisausschreiben, Umfragen und Statistiken, Backlink-Aufbau usw. Vor allem Social Media spielt hier eine große Rolle.

Wie können große Unternehmen (nicht) von Growth Hacking profitieren?

Große Unternehmen sind keine Startups. Das ist schon mal ein Problem. Wenn ein Startup-Unternehmer Marketing plant, informiert er sich über Google und macht das dann einfach.
Wenn ein großes Unternehmen Growth Hacking machen möchte, lädt es erst einmal einen Growth Hacking Trainer ein. Dann setzen sich Dutzende Teams in Meetings zusammen (und verbraten dabei schon Tausende Euro). Jetzt folgt ein Brainstorming. Früher oder später wird dieses Meeting von einem Brüllaffen dominiert. Das ist übrigens meistens die Person, die wenig Ideen hat, diese aber durchsetzen möchte. Leise Stimmen gehen dabei völlig unter oder werden sofort ignoriert. Am Ende müssen diese Erkenntnisse gesammelt und ausgewertet werden. Wenn man Glück hat, erfolgt diese Analyse von jemandem, der Ahnung hat und das Potenzial einzelner Maßnahmen erkennt. Am Ende folgt eine nette Mail von dieser Person, wie kreativ die Mitarbeiter seien und wie viele tolle Ideen gesammelt wurden. Es folgt der Ratschlag, diese nun umzusetzen. Alle lieben diese Mail, schlagen sich gegenseitig auf die Schulter und schließen das Growth Hacking Erlebnis damit ab. Vielleicht fragt früher oder später ein Mitarbeiter mal nach: Was wurde eigentlich aus den Maßnahmen, die wir machen wollten? Aber gerade hat man keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Ein großer Auftrag steht gerade an. Der Chef hat keine Zeit und dann muss man sich für seinen Urlaub vorbereiten. Außerdem startet gerade die beauftragte Werbeagentur eine neue Kampagne. Die wolle man doch nicht stören.

Was sind die Bestandteile des Growth Hacking?

Man liest immer wieder, dass die Bestandteile des Growth Hacking Akquise, Aktivierung, Kundenbindung, Aufforderung und Weiterempfehlung sei. Im Endeffekt gleicht das dem AIDA-Modell (Attention Interest Desire Action) oder den vielen CRM-Regeln, die im Marketing zu finden sind. Das ist sicherlich auch nützlich. Man darf aber nicht vergessen, dass Startups normalerweise keinen komplizierten Regeln und Modellen folgen.
Der Startup-Unternehmer würde z. B. ein Preisausschreiben machen und dann im Nachhinein feststellen, dass ein kostenloser Newsletter doch sehr nützlich sein. Das Großunternehmen würde stattdessen von der Akquise bis zum Abschluss alle Marketingmaßnahmen durchplanen, egal, wie erfolgreich die einzelnen Aktionen sind. Das Ergebnis: Das Startup spart Geld, das Großunternehmen gibt erst einmal viel mehr aus.

Welche Kanäle kann man zum Growth Hacking nutzen?

Es gibt viele Marketingmaßnahmen, die sich hierfür sehr gut nutzen lassen, z. B.

  • Blogs, Gastbeiträge von bekannten Autoren
  • Newsletter
  • Content-Marketing
  • SEO und entsprechend optimierte Landingpages
  • Social Media Portale und SEM
  • Video-Marketing über YouTube, Vimeo und Facebook Watch
  • Google Ads
  • Preisausschreiben
  • Umfragen
  • Backlink-Aufbau
  • Analysen, A/B-Testings
  • Meinungsforschung
  • Kostenlose Angebote (Produkte, Services, Goodies usw.)
  • Messen
  • Eigene Kontakte in Facebook oder XING anschreiben
  • PR und Pressemeldungen
  • Podcasts
  • Multiplikatoren
  • Reputationsmanagement
  • Event-Marketing
  • Guerilla-Marketing
  • Telefon-Marketing
  • Kooperationen mit anderen Unternehmen
  • Business Angels

usw.

Leider bringen die einzelnen Maßnahmen oft nicht den gewünschten Effekt. Es fehlt oft die Growth Hacking Strategie. Wer z. B. tolle Artikel auf seinen Blog stellt, wird erst einmal keinen Umsatzwachstum erleben. Man braucht Menschen, die diese Artikel lesen. Und um diese auf den Blog aufmerksam zu machen, benötigt man Suchmaschinenoptimierung, Content-Marketing sowie Google Ads und Facebook Werbung – oder eben Online-Marketing.
Große Marken oder Unternehmen tun sich gerade mit solchen Strategien schwer. So macht man zwar für Millionen Banner- und TV-Werbung, stellt dann aber fest, dass man ja gar keine Landingpage hierfür gebaut hat. Tausende Menschen kommen dann auf die Webseite und finden gar nicht das beworbene Angebot. Eine Ausnahme? Nein. Viele Großunternehmen vergessen oder übersehen solche Aspekte. Auch die Lufthansa warb jahrelang mit supergünstigen Angeboten, die man aber auf deren Webseite gar nicht finden konnte. Die Folge: frustrierte Kunden oder Interessenten, die nicht wiederkommen.
Ein weiteres Problem: Was für das eine Unternehmen ein Segen ist, kann für ein anderes wiederum überhaupt nicht funktionieren. Ein gutes Video kann bereits für einen CPC von 0,02 Euro pro View beworben werden – also, viel Ertrag für wenig Geld. Wer sich aber in einer sehr kompetitiven Branche bewegt, zahlt auch für einen CPC bis zu 13 Euro und mehr. Vor allem die beliebten Werbeplätze auf XING und Linkedin sind extrem teuer. Wer einfach nur mehr Traffic generieren möchte, kann keine 2-3 Euro pro Klick bezahlen – oder sollte es nicht.
In manchen Branchen kann der Newsletter auch ein guter Traffic-Lieferant sein. In anderen ist es so, dass niemand diesen Newsletter überhaupt abonnieren möchte.

Tolle Produkte zu verkaufen ist einfacher – auch mit Growth Hacking

Klar, jeder weiß es: Wer ein tolles Produkt hat, bekommt dieses praktisch aus den Händen gerissen. Das ist keine Marketing-Expertise, sondern einfach Glück. Oft kommen Kunden und würden gerne Social-Media-Marketing machen, haben aber ein Produkt, das kaum einer möchte, überhaupt nicht sexy ist und nur eine ziemliche kleine Zielgruppe hat. Für solch ein Unternehmen ist Growth Hacking keine Lösung. Hier würde man eher zu einem guten Vertriebler raten, der von Tür zu Tür geht und persönliche Kontakte knüpft.
Auch die Lead-Generierung, um teure Produktions- oder Industrieanlagen zu verkaufen, sollte man besser auf andere Wege versuchen. Manche Leads können dabei leicht 100-200 Euro und mehr kosten. Auch hier sollte man sich vorher durchrechnen, wie viel ein Lead kosten darf.

Growth Hacking ist kein Zaubermittel für Unternehmen. Wer vorher schon nicht wusste, wie er seine Marketing-Budgets richtig einsetzt, wird auch mit Growth Hacking scheitern. Für alle anderen ist es ein Denkanstoß, bisherige Maßnahmen zu überdenken und vielleicht die Budgets auf andere Bereiche zu verteilen.

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